Hinweise aus Tierversuchen: Multiple Sklerose beginnt offenbar im Darm

Allerdings rücken in jüngster Zeit der Darm und seine Bewohner, die sogenannten Mikrobiota, zunehmend in Verdacht, an der Entstehung der MS beteiligt zu sein. Zwei aktuelle Studien an Mäusen bestätigen dies nun.
So konnten Forscher des Exzellenzclusters „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen“ in Kiel zeigen, dass eine Tryptophan-freie Diät die Zusammensetzung der Darmbakterien bei Mäusen verändert und die Tiere so vor den Symptomen einer experimentell erzeugten MS schützt.1
Wie die Studie ergab, waren bei Tieren, die Futter ohne die Aminosäure Tryptophan bekamen, keine aggressiven Immunzellen ins Rückenmark gewandert und es traten keine Schäden an der Myelinschicht von Nervenzellen auf. Letztere sind für das Absterben von Neuronen und die typischen MS-Symptome wie motorische oder sensible Störungen verantwortlich. Der schützende Effekt der Tryptophan-freien Diät war allerdings abhängig von der Gegenwart von Bakterien im Darm: Fehlten diese, war auch der Schutz gegen MS verschwunden.
„Durch das Weglassen der Aminosäure Tryptophan verändert sich die Zusammensetzung der Darmflora, die ein bisher unbekanntes Signal an die Immunzellen sendet. Welche Mechanismen hinter diesem Phänomen stecken, wissen wir bisher nicht. Das wollen wir in der Zukunft genauer untersuchen“, sagte Dr. Maren Falk-Paulsen, Wissenschaftlerin am IKMB und Mitglied im Exzellenzcluster PMI.
Signalmolekül mobilisiert Immunzellen
Dass der Angriff der Immunzellen auf die Myelinschicht bei der MS tatsächlich im Darm startet und welches Signal dafür verantwortlich sein könnte, haben Forscher der Ruhr-Universität Bochum nachgewiesen. Sie hatten ebenfalls mit Mäusen gearbeitet, die eine der MS ähnliche Erkrankung entwickelten.2
Bei ihren Untersuchungen hatten sich die Wissenschaftler auf das Signalmolekül Smad7 konzentriert, dessen Rolle bei autoimmunen und entzündlichen Darmerkrankungen bereits bekannt ist. Und tatsächlich fanden die Forscher bei Mäusen, die hohe Smad-7-Konzentrationen in Immunzellen des Darmes ausbildeten, starke MS-ähnliche Symptome. Bei diesen Tieren waren im Darm vermehrt T-Zellen aktiviert, die in das Zentralnervensystem einwanderten und dort Entzündungen auslösten. Außerdem war bei ihnen das Verhältnis von schützenden (regulatorischen) T-Zellen zu aggressiven (autoreaktiven) T-Zellen verändert. Bei Mäusen, die kein Smad7 bildeten, gab es hingegen keine klinischen Anzeichen für die MS-artige Erkrankung.
Im nächsten Schritt verglichen die Wissenschaftler Gewebeproben aus dem Darm von 27 MS-Betroffenen mit Proben von 27 Kontrollpersonen und fanden dabei ähnliche Veränderungen wie im Mausmodell: Das Signalprotein Smad7 trat in Darmschleimhautproben von MS-Betroffenen häufiger auf als bei den Kontrollpersonen. Außerdem zeigte sich bei MS ein abnormes Verhältnis von regulatorischen zu krankmachenden Mechanismen in den Darmschleimhautproben.
„Für andere Autoimmunstörungen wie Morbus Crohn und weitere entzündliche Darmerkrankungen ist bereits bekannt, dass Smad7 ein vielversprechendes Therapieziel darstellt; unsere Ergebnisse legen nahe, dass das auch bei Multipler Sklerose so ist“, sagte Prof. Ingo Kleiter.