Welche Rolle spielt Kalzium bei Multipler Sklerose?
HEIDELBERG (Biermann) – Bisher ist noch nicht geklärt, was die treibende Kraft bei Entstehung und Verlauf der Multiplen Sklerose (MS) ist: Steht am Beginn eine Überreaktion des Immunsystems auf körpereigenes Nervengewebe, was zum Absterben der Nervenzellen führt, oder aktiviert umgekehrt der Tod von Nervenzellen erst das
Aktuelle Forschungsergebnisse liefern Indizien für ein möglicherweise beiden Mechanismen zugrunde liegendes Ausgangsproblem: ein Überschuss an dem Universal-Botenstoff Kalzium. Er lässt Nervenzellen absterben und macht Immunzellen aggressiv gegenüber körpereigenem Gewebe.
„Wenn wir diesen Störungen auf den Grund gehen, finden wir möglicherweise den Ursprung der Erkrankung“, erklärte Prof. Ricarda Diem, Oberärztin an der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg. Sie leitet und koordiniert eine neue Forschergruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), an der Wissenschaftlerteams aus Heidelberg, Homburg, Hamburg-Eppendorf und Münster beteiligt sind. Die DFG fördert das Projekt in den kommenden drei Jahren mit 2,7 Millionen Euro.
In interdisziplinären Projekten werden die Forscher untersuchen, was das Kalzium-Gleichgewicht durcheinanderbringt, wie sich dadurch die Interaktion von Immun- und Nervenzellen verändert und welche Bedeutung das für den Verlauf der MS hat. Weiteres Ziel ist es, Ansatzpunkte für neue Therapien zu identifizieren, die regulierend in den Kalzium-Haushalt von Immun- oder Nervenzellen eingreifen können.
Kalzium-Überschuss macht Immunzellen aggressiv und Nervenzellen krank
Neurologen, Pharmakologen und Neurobiologen widmen sich dazu den verschiedenen Zelltypen, die bei MS eine Rolle spielen, darunter Immun-, Blutgefäß- und Nervenzellen. Sie untersuchen Kalzium-abhängige Signalwege innerhalb und zwischen den Zellen, fahnden nach möglichen Defekten bei Kalzium-Transportproteinen, prüfen, wie das Ungleichgewicht an Kalzium zustande kommt und wie die einzelnen Zellen darauf reagieren. Zudem gehen sie der Frage nach, ob Kalzium die
Neuer Ansatz in der Erforschung der Multiplen Sklerose
Kalzium ist im Körper in alle Zellfunktionen, Signalwege und Netzwerkprozesse eingebunden. Jede Zelle verfügt daher über ein höchst komplexes Regulationssystem für diesen Universal-Botenstoff. „Die Frage ist, was dieses System bei MS entgleisen lässt. Warum bringen Störungen an einzelnen Stellen das ganze System aus dem Gleichgewicht, obwohl den Zellen viele weitere Regulationsmechanismen zur Verfügung stehen?“, erklärte Diem. „Störungen in der Kalzium-Regulation sind bis jetzt in der Erforschung der MS wenig beachtet worden. Wir gehen davon aus, ein neues Forschungsfeld auf dem Gebiet der Neurologie zu erschließen.“