10.01.2022 – Wissenschaft & Forschung

Kälte gegen Multiple Sklerose?

GENF (Biermann) – Wissenschaftler der Universität Genf, Schweiz, haben am Mausmodell der Multiplen Sklerose gezeigt, dass eine kältere Umgebung den Schweregrad der Erkrankung und das Ausmaß der Demyelinisierung im zentralen Nervensystem verringert.
Teaserbild für "Kälte gegen Multiple Sklerose?"

Ihrer Studie lag die aus den 1950er-Jahren stammende Theorie zugrunde, dass Lebewesen in einer feindlichen Umgebung ihre Ressourcen auf lebenswichtige Programme wie Energieerhaltung und Verteidigung gegen Angriffe von außen konzentrieren. Die Wissenschaftler übertrugen diese Idee auf die fehlerhafte Aktivierung des Immunsystems, die zu Autoimmunkrankheiten führt und damit auch der MS zugrunde liegt.

„Die Verteidigungsmechanismen unseres Körpers gegen die feindliche Umwelt sind energetisch teuer. Der Organismus muss daher Prioritäten bei der Zuteilung von Ressourcen für verschiedene Verteidigungsprogramme setzen, je nachdem, wie wichtig diese für das Überleben sind“, erklärt Mirko Trajkovski, Professor in der Abteilung für Zellphysiologie und Stoffwechsel an der medizinischen Fakultät der Universität Genf.

„Wir stellten daher die Hypothese auf, dass dies insbesondere für die Autoimmunität von Interesse sein könnte, wo die Einführung eines zusätzlichen energieaufwendigen Programms zu einer milderen Immunreaktion und einem milderen Krankheitsverlauf führen könnte. Mit anderen Worten, könnten wir die Energie, die der Körper verbraucht, wenn das Immunsystem aus dem Ruder läuft, umleiten?“

Eine drastische Verringerung der Symptome

Um ihre Hypothese zu testen, setzten die Wissenschaftler Mäuse, die an experimenteller Autoimmun-Enzephalomyelitis, einem Modell der menschlichen MS, erkrankt waren, nach einer Akklimatisierungsphase in eine kältere Umgebung – etwa 10 °C – ein. „Nach einigen Tagen beobachteten wir eine deutliche Verbesserung des klinischen Schweregrads der Krankheit sowie des Ausmaßes der Demyelinisierung im zentralen Nervensystem“, erklärte Prof. Doron Merkler vom Zentrum für Entzündungsforschung.

„Die Tiere hatten keine Schwierigkeiten, ihre Körpertemperatur auf einem normalen Niveau zu halten, aber die Symptome der Bewegungsstörungen gingen dramatisch zurück, von der Unfähigkeit, auf den Hinterpfoten zu laufen, bis hin zu einer leichten Lähmung des Schwanzes.“

Indem der Körper gezwungen werde, seinen Stoffwechsel zu erhöhen, um die Körperwärme aufrechtzuerhalten, würden dem Immunsystem Ressourcen entzogen. Dies führe zu einem Rückgang der schädlichen Immunzellen und damit zu einer Verbesserung der Krankheitssymptome, erklärten die Forscher.

„Während das Konzept, der thermogenen Reaktion Vorrang vor der Immunantwort zu geben, offensichtlich vor Autoimmunität schützt, muss natürlich auch erwähnt werden, dass Kälteexposition die Anfälligkeit für bestimmte Infektionen erhöht. Unsere Arbeit könnte daher nicht nur für Neuroinflammation, sondern auch für andere immunvermittelte oder infektiöse Krankheiten relevant sein“, fügte Trajkovski hinzu. 

Autoimmunkrankheiten auf dem Vormarsch

Die Verbesserung der Lebensbedingungen in den westlichen Ländern, die in den letzten Jahrzehnten zu beobachten war, ging mit einem Anstieg der Fälle von Autoimmunerkrankungen einher. „Dieser Anstieg ist zweifellos multifaktoriell bedingt, aber die Tatsache, dass wir über eine Fülle von Energieressourcen verfügen, könnte bei der Entstehung von Autoimmunkrankheiten eine wichtige, aber bisher kaum verstandene Rolle spielen“, gibt Merkler zu bedenken.

Die Wissenschaftler werden nun ihre Forschung fortsetzen, um besser zu verstehen, ob ihre Entdeckung für klinische Anwendungen genutzt werden könnte.