08.02.2022 – Wissenschaft & Forschung

Studie untermauert Bedeutung des Epstein-Barr-Virus bei MS

BOSTON (Biermann) – Ein Zusammenhang zwischen dem Epstein-Barr-Virus (EBV) und dem Auftreten von MS ist schon länger bekannt. Nun hat eine Studie den bisher stärksten Beleg dafür erbracht, dass eine EBV-Infektion das MS-Risiko drastisch erhöht.
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Eine Kombination aus genetischer Veranlagung und umweltbedingten Auslösern wie Viren gilt als wahrscheinliche Ursache der Multiplen Sklerose. EBV ist ein Herpesvirus, mit dem sich die meisten Menschen bis zum Jugendalter infizieren. Das Virus schlummert dann lebenslang latent in bestimmten Immunzellen und steht schon seit langem in Verdacht, an der Entstehung der MS beteiligt zu sein.

So haben Menschen, die eine infektiöse Mononukleose, die durch EVB ausgelöste Erkrankung, durchgemacht haben, ein höheres Risiko für MS. Doch obwohl 99 Prozent der MS-Patienten eine EBV-Infektion durchgemacht haben, sind auch 95 Prozent der Menschen ohne MS infiziert, was es schwierig macht, die Auswirkungen des Virus genau zu bestimmen.  

EBV-Infektion erhöht das MS-Risiko um das 32-Fache

Ein Team unter der Leitung des Arztes und Epidemiologen Alberto Ascherio von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston, USA, hat nun eine Datenbank mit medizinischen Daten von zehn Millionen aktiven US-Soldaten durchsucht, die zwischen 1993 und 2013 zum Militärdienst eingezogen wurden und alle zwei Jahre eine Blutprobe für einen HIV-Test abgaben.

Von diesen Soldaten erkrankten 955 an MS. Von 801 Personen, für die ausreichend Blutproben vorlagen, waren 35 in ihrem ersten Bluttest negativ für EBV; alle bis auf einen wurden während der Studie EBV-positiv, bevor sie im Durchschnitt fünf Jahre später MS entwickelten. Im Vergleich dazu wurde nur die Hälfte der 107 MS-freien Studienteilnehmer, die als Kontrollen dienten, im gleichen Zeitraum EBV-positiv, berichten die Forscher in Science. Das bedeute, dass eine EBV-Infektion das MS-Risiko einer Person um das 32-Fache erhöhe – vergleichbar mit dem Anstieg des Lungenkrebsrisikos durch starkes Rauchen, erklärte Ascherio.

Für keines der anderen verbreiteten Viren, auf die Ascherio und sein Team die Blutproben untersucht hatten, fanden die Forscher einen ähnlichen Zusammenhang. Zudem wiesen sie nach, dass bei Menschen, die später eine MS entwickelten, die Konzentration von Neurofilament light chain (NfL), einem Blutmarker, der mit dem Abbau von Nervenzellen in Verbindung steht, nach ihrer EBV-Infektion anstieg. Ascherio ist überzeugt, dass die Studie den Fall klärt. „Wie lässt sich die Tatsache erklären, dass man keine MS bekommt, wenn man nicht mit EBV infiziert ist? Es gibt keine andere Erklärung“, sagte er. 

Viele andere Faktoren haben ebenfalls Einfluss

„Die Erkenntnis, dass EBV das Risiko, MS zu entwickeln, deutlich steigert, ist nicht neu, aber keine Studie konnte es bis jetzt so eindeutig mit epidemiologischen Methoden beweisen", kommentierte Prof. Henri-Jacques Delecluse, Leiter der Arbeitsgruppe Pathogenese infektionsbedingter Tumoren am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg, die Ergebnisse der Studie.

Interessant sei auch der zeitliche Zusammenhang zwischen MS-typischen (aber nicht spezifischen) Blutveränderungen (Erhöhung von NfL) und einer EBV-Infektion, so Delecluse weiter. „Hier konnten die Autoren überzeugend zeigen, dass nur die EBV-Infektion diese Veränderungen verursacht, und zwar bereits mehrere Jahre, bevor die klinischen Zeichen von MS sichtbar werden. Dies lässt annehmen, dass die EBV-Infektion relativ schnell Läsionen im Gehirn verursacht, die sich jedoch jahrelang fortsetzen müssen, bevor sie MS verursachen.“

Die Studie bestätige, dass das Virus auf die MS-Entwicklung einen erheblichen Einfluss hat. Allerdings seien auch andere Faktoren wichtig, beispielsweise bestimmte Gene, die die Immunantwort regulieren, erklärte Delecluse. Es sei auch sehr wahrscheinlich, dass andere, bis jetzt nicht eindeutig identifizierte nichtgenetische Faktoren eine wichtige Rolle spielen, wie das Alter bei der ersten Infektion mit EBV. „Letztlich ist MS eine seltene Krankheit und die allermeisten EBV-positiven Menschen haben keine MS“, resümierte der Experte. 

Immunologischer Beitrag einer EBV-Infektion zu MS bleibt ungeklärt

Auch auf die Behandlung der MS ergäben sich aus der Studie keine unmittelbaren Konsequenzen, erklärte Prof. Klemens Ruprecht, Oberarzt und Leiter der Multiple Sklerose Ambulanz, Klinik und Hochschulambulanz für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Bemerkenswert sei aber, dass EBV B-Zellen infiziert und in diesen Zellen verbleibt.

Weiterhin bedeute der kausale Zusammenhang zwischen EBV und MS, dass eine Impfung gegen EBV die Entstehung einer MS verhindern sollte. Allerdings stünden derzeit keine zugelassenen EBV-Impfstoffe zur Verfügung. Darüber hinaus würde es, selbst wenn es gelänge, einen wirksamen Impfstoff gegen EBV zu entwickeln, Jahrzehnte dauern, bis abschließend klar wäre, ob ein derartiger Impfstoff tatsächlich einen Schutz vor MS bewirkt, gab Ruprecht zu bedenken.  Daran zweifelt auch der ärztliche Beirat des DMSG-Bundesverbandes. „Es wäre zu früh zu glauben, dass eine derart heterogene Krankheit wie die Multiple Sklerose gelöst und in Zukunft geheilt werden kann“, sagt der Beiratsvorsitzende Professor Ralf Gold in einer Stellungnahme.  „Zukünftig werden sicherlich noch weitere Auslöser identifiziert werden.“

Das Fazit von Prof. Klemens Ruprecht: „Die entscheidende wissenschaftliche Herausforderung ist, nunmehr den Mechanismus zu klären, durch den EBV in der Entstehung der MS eine Rolle spielt. Die zentrale Frage lautet somit nicht ob, sondern wie EBV an der Entwicklung einer MS beteiligt ist.“